Förderung der beruflichen Weiterbildung

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Perspektiven der Weiterbildung nach der Bundestagswahl – Förderinstrumente und Finanzierungsbedingungen

Wir bedanken uns bei den MdB's Klaus Brandner (SPD), Uwe Schummer (CDU) und Axel Troost (Die Linke) für ihre Antworten. Die damals laufenden Koalitionsverhandlungen und die erneute Wahl für das Präsidium des Deutschen Bundestages ließen eine direkte Teilnahme der Abgeordneten an der Tagung leider nicht zu.

Frage 1: Halten Sie die geplanten Senkungen der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für sinnvoll und welche Auswirkungen haben sie auf die aktive Arbeitsmarktpolitik?

Klaus Brandner, SPD/MdB Es ist ein zentrales Anliegen unserer Politik, die Beitragssätze zur Sozialversicherung stabil zu halten und, wenn möglich, zu senken, ohne allerdings wichtige Aufgaben der sozialen Sicherung zu vernachlässigen. In Zeiten knapper Haushalte ist es sicherlich notwendig, eine möglichst hohe Effizienz beim Einsatz der verfügbaren Mittel sicherzustellen. Dies gilt auch für die Beitragseinnahmen aus der Arbeitslosenversicherung. Eine Beitragssatzsenkung zur Arbeitslosenversicherung ist jedoch nur dann möglich, wenn gleichzeitig sichergestellt ist, dass dies nicht zu Lasten der aktiven Arbeitsmarktpolitik geht. Dieses Thema ist auch Gegenstand der Koalitionsverhandlungen. Der Vorschlag der Union, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 1,5 Prozent zu senken, dürfte aus heutiger Sicht nicht realistisch sein. Ohne die Erschließung anderweitiger Finanzierungsquellen führte dies praktisch zur weitgehenden Aufgabe der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Mit blick auf das nach wie vor hohe Niveau der Arbeitslosigkeit sind Einschnitte zu Lasten von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik nicht vertretbar.

Uwe Schummer, CDU/MdB Sie ist sinnvoll, wenn die aktive Arbeitsmarktpolitik aus Steuermitteln finanziert wird. Die Finanzierung über Beiträge war sachlich falsch. Hinzu kommen Initiativen für das Bildungssparen, Weiterbildungsbafög und Lernzeitkonten um lebenslanges Lernen als eigene Bildungssäule aufzubauen.

Dr. Axel Troost, Die Linke/MdB Die Senkung der Lohnnebenkosten – hier die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – hat sich in ein Gesamtkonzept zur Verbesserung der Angebots- und Nachfragebedingungen im bundesdeutschen Beschäftigungssytem einzuordnen. Dabei müssen ganz unterschiedliche Politikbereiche (v. a. Arbeitsmarkt-. Bildungs-, Finanz-, Regional-, Struktur- und Wirtschaftspolitik) gemeinsam und abgestimmt aktiv werden. Die isolierte Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung würde nicht die versprochenen Effekte erbringen, sondern vielmehr die Gefahr herauf beschwören, dass aufgrund der damit verbundenen sinkenden Beiträgseinnahmen die Mittelansätze für aktive Arbeitsmarktpolitik weiter zurück gefahren werden.


Frage 2: Welche generelle Ausrichtung soll die Arbeitsmarktpolitik haben (Dezentralisierung/Kommunalisierung)?

Klaus Brandner, SPD/MdB Es bedarf keiner Neuausrichtung unserer Arbeitsmarktpolitik. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen guten Mix aus bundespolitischer Kompetenzzuweisung und Handlungsautonomie vor Ort gefunden haben. Leider lebt dieser Ansatz in der Praxis noch nicht genug. Hier müssen wir den Umsetzungsprozess weiter forcieren. Der Aufbau der Arbeitsgemeinschaften ist zwar nahezu abgeschlossen, ihre volle Funktionsfähigkeit noch nicht hergestellt. Eine Verbesserung der Integration in den Arbeitsmarkt verspreche ich mir nicht von einer Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik. Das ist nicht zielführend. Genau so wenig wie eine zu starke Zentralisierung der Arbeitsmarktpolitik erfolgsversprechend gewesen wäre, bei der die Bundesagentur für Arbeit bis ins Detail kleinteilig die Arbeitsschritte vorgibt.

Wir haben uns stets dafür eingesetzt, dass den Arbeitsgemeinschaften ein umfassender Entscheidungs- und Handlungsspielraum bei der Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik zugestanden wird. Das Sozialgesetzbuch II und die Rahmenvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, der Bundesagentur für Arbeit und den kommunalen Spitzenverbänden vom 1. August dieses Jahre tragen diesem Gedanken Rechnung. Der Umsetzungsprozess läuft auf Hochtouren. Ich bin mir sicher, dass gut aufgestellte Arbeitsgemeinschaften, die den Freiraum beim Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente nutzen, den Wettbewerb mit den Optionskommunen auf längere Sicht für sich entscheiden werden. Das Arbeitsgemeinschaftskonzept – richtig umgesetzt – ermöglicht Synergie-Effekte. Sowohl Kommune als auch Agentur für Arbeit können ihre jeweiligen stärken in das Gemeinschaftsprojekt einbringen. Überregionale Arbeitsvermittlung wird unterstützt.

Uwe Schummer, CDU/MdB Möglichst viele Kompetenzen vor Ort. Regionalisierung der Arbeitsagenturen mit eigenem Budgetrecht, weniger Vorgaben sowie stärkere Kompetenzen bei den kommunalen Trägern.

Dr. Axel Troost, Die Linke/MdB Anzustreben ist die sinnvolle Arbeitsteilung von Bund (z. B. Sonderprogramme), Bundesagentur für Arbeit (SGB III/SGB II); Ländern (Länderarbeitsmarktpolitik) und Kommunen (SGB II) in der Arbeitsförderung. Insofern geht es um die sachgerechte Kombination von zentralen und dezentralen Elementen; nicht um ein entweder oder. Dieses arbeitsteilige Zusammenwirken von Bund, Bundesagentur für Arbeit, Ländern und Kommunen sollte auf folgenden Grundsätzen geschehen:
  • Schaffung einheitlicher Anlaufstellen für Arbeitslsoe/Arbeitssuchende;
  • eindeutige Aufgabenzuweisung und klare Schnittstellen zwischen allen, an arbeitsmarktpolitischen Interventionen, beteiligten Akteuren;
  • Einsatz eines problemadäquaten Instrumentenmix und Vermeidung von instrumentellen Förderlücken;
  • Vermeidung von – inzwischen bereits deutlich erkennbar entstehender – Ausgrenzung bestimmter Personengruppen von der Förderung;
  • Unterstützung aller in Arbeitsmarktfragen bedürftigen Personen, unabhängig von deren materieller Bedürftigkeit, zumindest durch Beratung, Information und Vermittlung;
  • Sicherung bundeseinheitlicher Qualitätsstandards (z. B. hinsichtlich des Fallmanagments).


Frage 3: Welche Bedeutung messen Sie der (Bundesagentur geförderten) beruflichen Weiterbildung (FbW) im Rahmen der zukünftigen Arbeitsmarktpolitik bei?

Klaus Brandner, SPD/MdB Der durch die Bundesagentur geförderten beruflichen Weiterbildung kommt auch künftig ein hoher Stellenwert zu. Sie ist Bestandteil unseres umfassenderen Konzeptes, lebenslanges Lernen zur gesellschaftlichen Normalität werden zu lassen.

Mit dem Job-AQTIV-Gesetz haben wir eingeführt, dass Arbeitnehmer bei Teilnahme an einer für die Weiterbildungsförderung anerkannten Maßnahme durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden können, wenn sie älter als 50 Jahre sind und in einem Betrieb arbeiten, der nicht mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Dieses arbeitsmarktpolitische Instrument ist bis 31. Dezember 2005 befristet. Mit dem in der vergangenen Wahlperiode vom Bundesrat blockierten 5. SGB-III-Änderungsgesetz haben wir das Ziel verfolgt, das Alter auf 45 Jahre herabzusetzen und die Zahl der Mitarbeiter im Betrieb auf 200 erhöhen. Wir setzen uns in den Koalitionsverhandlungen dafür ein, dass dieses Instrument auch im kommenden Jahr weiter zur Verfügung steht.

Mit der von uns eingeführten Job-Rotation helfen wir, das Wissen der Arbeitnehmer aktuell zu halten und geben Arbeitslosen gleichzeitig eine Chance. Arbeitgeber können dann einen Zuschuss erhalten, wenn sie einem Arbeitnehmer die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung ermöglichen und dafür einen Arbeitslosen einstellen. Leider wird in der Praxis von diesem Instrument viel zu wenig Gebrauch gemacht.

Durch die Förderung des Nachholens von Hauptschulabschlüssen, durch berufsvorbereitende Maßnahmen und mit Hilfe des Ausbildungspaktes stellen wir sicher, dass junge Arbeitnehmer einen möglichst guten Start in das Erwerbsleben haben. Mit der Erneuerung des Berufsbildungsgesetzes und der Modernisierung von rund 180 Berufen haben wir einen großen Schritt zur Weiterentwicklung der beruflichen Bildung gemacht.

Uwe Schummer, CDU/MdB Begleitende Option, stärker werden müssen permanente Formen der Weiterbildung die nach dem Nutznießerprinzip von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu finanzieren sind.

Dr. Axel Troost, Die Linke/MdB Angesichts des sich in immer schnelleren Zyklen entwickelnden weltweiten Wissens entsteht sowohl aus ökonomischer als auch aus sozialen und partizipativen Gründen das Erfordernis lebenslangen Lernens. Insofern sind FbW-Maßnahmen auch weiterhin ein dringend erforderliches Element in einem differenzierten Instrumentenmix der Arbeitsförderung, und zwar sowohl im weitgehend beitragsfinanzierten Rechtskreis des SGB III als auch im weitgehend steuerfinanzierten des SGB II. Der Instrumentenmix ist in beiden Rechtskreisen problemadäqauter als gegenwärtig auszurichten und hat dabei gleichermaßen die individuellen Voraussetzungen der Arbeitslosen/Arbeitssuchenden wie auch die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation zu berücksichtigen.

Der Umfang von FbW-Maßnahmen ist durch die restriktive Ausgabe von Bildungsgutscheinen durch die Arbeitsagenturen im Rechtskreis des SGB III inzwischen auf ein Niveau gesunken, welches den vorstehend skizzierten Herausforderungen nicht gerecht wird.

Im Rechtskreis des SGB II ist die einseitige Dominanz von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung im Förderinstrumentarium und die weitgehende Abstinenz von FbW-Maßnahmen völlig unangebracht.


Frage 4: Welche (neuen) Förderinstrumente sind dafür vorgesehen?

Uwe Schummer, CDU/MdB Bildungssparen, Weiterbildungsbafög und rechtliche Absicherung von Lernzeitkonten. Steuerfinanziert Berufsvorbereitungsmaßnahmen und Weiterbildungsmodule in Verbindung mit dem europäischen Ausbildungspass.

Dr. Axel Troost, Die Linke/MdB Beide Rechtskreise der Arbeitsförderung (SGB III, SGB II) verfügen über ein hinreichendes und differenziertes Instrumentarium, um an Arbeitslose/Arbeitssuchende berufliche und andere die Arbeitsmarktintegration unterstützende Qualifikationen zu vermitteln ( v. a. Trainingsmaßnahmen, Berufliche Ausbildung, Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sowie FbW). Neue Förderinstrumente mit dieser Zielrichtung sind daher gegenwärtig nicht unbedingt erforderlich. Insofern sind durch die beteiligten Akteure in erster Linie die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dies erfordert jedoch die Abkehr von einer nahezu ausschließlich auf Kostenminimierung ausgerichteten Geschäftspolitik der Bundesagentur für Arbeit. Darüber hinaus ist weiteren mit der neuen Geschäftspolitik der Bundesagentur für Arbeit verbundenen negativen Entwicklungen in der geförderten beruflichen Weiterbildung – z. B. die Benachteiligung von besonders förderungsbedürftigen Personengruppen bei der Vergabe von Bildungsgutscheinen (Creaming-Effekt) – Einhalt zu gebieten und durch eine problemadäquate und sachgerechte Umsetzungspraxis abzulösen.


Frage 5: Welche Rolle spielt dabei die Weiterbildung?

Klaus Brandner, SPD/MdB Die Bundesagentur für Arbeit ist und bleibt ein wichtiger Akteur auf dem Gebiet der beruflichen Weiterbildung. Hier darf es keine Abstriche geben.

Weiterbildung ist zentral, wenn es um die Wiedererlangung oder den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit geht. Passgenaue und eingliederungsorientierte Fort- und Weiterbildung gehören zum Förderinstrumentarium der Bundesagentur für Arbeit und auch der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Im Hinblick auf eine stärker wirkungsorientierte Arbeitsmarktpolitik ist es Ziel der Bundesagentur für Arbeit, mehr Integration in den Arbeitsmarkt mit geringerem Mitteleinsatz zu erreichen. Mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt haben wir die aktive Arbeitsförderung konsequent auf die rasche Integration in reguläre Beschäftigung ausgerichtet.

Die Neuorientierung unserer Arbeitsmarktpolitik zielt auf eine Verbesserung der Effizienz beruflicher Weiterbildung und auf Erhöhung der Eingliederungschancen nach Durchführung von geförderten Weiterbildungsmaßnahmen. Dies ist auch deshalb wichtig, um den Kritikern von Bildungsmaßnahmen erfolgreich entgegentreten zu können. Weiterbildungsträger müssen ihr Bildungsangebot an den regionalen und überregionalen arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen anpassen. Die Ausrichtung der beruflichen Fortbildung an Effizienzkriterien darf allerdings nicht dazu führen, dass Weiterbildungsmaßnahmen nur noch nach Kosteneffizienz vergeben werden. Für uns ist die Qualität zentral. Hierfür haben wir uns eingesetzt und werden uns weiter stark machen.

Uwe Schummer, CDU/MdB Eine große Rolle.


Frage 6: Wie soll nach Ihrer Vorstellung die berufliche Weiterbildung finanziert werden? Welche Finanzierungsstrukturen schlagen Sie darüber hinaus vor?

Klaus Brandner, SPD/MdB Die Finanzierung des Arbeitsmarktinstruments Weiterbildung wird bisher ganz überwiegend über den Beitragshaushalt der Bundesagentur sichergestellt. Hinzu kommen Steuermittel durch den Bundeszuschuss. Die Eingliederungsleistungen für Bezieherinnen und Bezieher der Grundleistung für Arbeitssuchende in Höhe von 6,55 Mrd. Euro werden ebenfalls aus Steuermitteln bezahlt.

Für uns standen und stehen Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung von Anfang an im Zentrum unserer Politik. Wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschung seit 1998 um 37,5 % auf 9,9 Mrd. Euro gesteigert. Damit stieg auch der Anteil der Ausgaben von Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt wieder: von 2,31 % (1998) auf 2,55 % (2003). Bis 2010 wollen wir 3 % erreichen.

Die Bedeutung des lebenslangen Lernens muss angesichts der demografischen Entwicklung stärker in den Vordergrund gerückt werden. Hier müssen alle ihren Beitrag leisten: Staat, Unternehmen und Arbeitnehmer.

Da der Staat nicht in Alleinverantwortung für die wichtige Zukunftsaufgabe Weiterbildung steht, müssen also auch andere motiviert werden, sich hier zu engagieren.

Der Kommissionsbericht zur Finanzierung des lebenslangen Lernens macht eine Reihe von Vorschlägen wie z. b. die Einführung eines individuellen Bildungssparens. Wir werden alle Vorschläge der Kommission sorgfältig prüfen.

Jugendliche, die Schule oder Ausbildung abbrechen, sollen eine zweite Chance bekommen. Mit einem neuen Programm „Zweite Chance“ wollen wir erreichen, dass Jugendliche ihren Schulabschluss nachholen oder ihre Ausbildung wieder aufnehmen können.

Neue Spielräume für weitere Investitionen in Bildung und Forschung durch Bund, Länder und Gemeinden können durch den Abbau nicht mehr gerechtfertigter Subventionen und Vergünstigungen eröffnet werden. Wir haben dazu konkrete Vorschläge gemacht. Ein wichtiges Beispiel dafür ist der vom Deutschen Bundestag in der vergangenen Wahlperiode verabschiedete Gesetzentwurf zur Abschaffung der Eigenheimzulage.

Als wesentliche Nutznießer betrieblicher Weiterbildung kommt den Unternehmen eine zentrale Verantwortung für betriebliche Bildungsinvestitionen zu. Wir wollen das Gespräch mit den Sozialpartnern suchen, das Instrument der betrieblichen Lernzeitkonten stärker als bisher zu nutzen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen hierfür wollen wir verbessern. Hierzu gehört, Lernzeitkonten gegen Insolvenz zu schützen.

Uwe Schummer, CDU/MdB Steuerfinanziert, prämienbegünstigt im Bereich des Vermögensbildungsgesetzes und tariffähig über Lernzeitkonten.

Dr. Axel Troost, Die Linke/MdB Angesichts der anhaltenden Beschleunigung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts hängt die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft immer mehr vom verfügbaren Humankapital ab. Die Befunde der IGLU- und der PISA-Studien, die rückläufige Weiterbildungsintensität der Unternehmen und die bereits benannte viel zu geringe Präsenz von FbW-Maßnahmen im arbeitsmarktpolitischen Instrumentarium des SGB III und des SGB II zeigen, dass die Bundesrepublik in vielen bildungspolitisch relevanten Bereichen dieser Herausforderung quantitativ und qualitativ derzeit nicht gewachsen ist.

Die absehbare demografische Entwicklung wird dazu führen, dass die Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in relevantem Umfang zurück gehen wird und zudem immer weniger junge Menschen in das Ausbildungs- und Beschäftigungssystem einmünden werden. Wenngleich Prognosen eines unmittelbar ins Haus stehenden flächendeckenden quantitativen Fachkräftemangels verfrüht sind, verweisen die demografischen Perspektiven gleichwohl darauf, möglichst alle Begabungsreserven – Jüngerer wie Älterer, deutscher wie ausländischer Mitbürger/-innen, von Frauen wie auch von Männern – zu erschließen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht in diesem Konzept von der Notwendigkeit „ ...eine(r ) neue(n) Bildungsexpansion ... , die das vorhandene Bildungsreservoir ausschöpft und dazu beiträgt, die Zukunft sicherer zu machen“.

Nicht nur die anhaltende Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit, sondern auch die schrittweise Ausgrenzung immer größerer Bevölkerungsteile und sozialer Schichten von Bildung, so auch von öffentlich geförderter beruflicher Weiterbildung, untergräbt mittel- bis langfristig die Fundamente des bundesdeutschen Sozialstaats und widerspricht im übrigen nicht nur den Vorgaben des Grundgesetzes, welches die Schaffung gleichwertiger Lebensumstände und Zukunftschancen als Staatsaufgabe formuliert, sondern auch den Orientierungen der Europäischen Beschäftigungsstrategie.

Vor diesen ökonomischen und sozialen Herausforderungen dürfen die arbeitsmarkt- und bildungspolitisch relevanten Akteure nicht kapitulieren, wenn das Gemeinwesen nicht nur dem Altar ungezügelter Marktprozesse und nicht zu Ende gedachter „Reformen“ geopfert werden soll: Bildung taugt – wie übrigens Gesundheit auch – nur bedingt als Ware; der effektive und effiziente Einsatz arbeitsmarkt- und bildungspolitischer Instrumente wie der öffentlich geförderten beruflichen Weiterbildung ist mithin auch nur bedingt über marktmäßige Prozesse erreichbar und muss vor allem auf eine verlässliche und für alle kalkulierbare Finanzierungsbasis gestellt werden.

Angesichts dieser Herausforderungen und unter Berücksichtigung der vorrangig strukturell bedingten Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, partiell aber auch in Westdeutschland, ist die Frage aufzuwerfen, ob die Arbeitsmarktpolitik im Allgemeinen und die Förderung der beruflichen Weiterbildung im Besonderen nicht in viel stärkerem Maße als bislang steuerfinanziert und zu einer gesetzlich verankerten Pflichtleistung werden sollte – z. B. für alle diejenigen, die nach den Ergebnissen eines sachgerechten Profilings einer öffentlich geförderten beruflichen Weiterbildung bedürfen.

Dies ist kein Plädoyer für die grundsätzliche Aufgabe des Versicherungsprinzips in der Arbeitsförderung, wohl aber für die sachgerechte Zuordnung unterschiedlicher Aufgaben-, Verantwortungs- und damit auch Finanzierungsbereiche. Im übrigen ist dies kein völlig neuer Gedanke: Bereits im Jahr 1984 hat der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm ähnliches auf einer Festveranstaltung der Bundesanstalt für Arbeit angeregt. Damit könnte insbesondere der kontraproduktiven, weil qualitätshemmenden Diskontinuität öffentlich geförderter beruflicher Weiterbildung entgegen gewirkt werden. Faulstich vom Lehrstuhl für Erwachsenenbildung der Universität Hamburg formuliert mit Blick auf die Zukunft beruflicher Fort- und Weiterbildung eine ähnliche Forderung, der sich anzuschließen ist: „Wenn also das Spektrum der Qualifikationschancen im SGB III eingeschränkt wird, muss alternativ eine Finanzierung über Steuern greifen, wenn langfristige Kompetenzentwicklung gesichert werden soll.“

Soll öffentlich geförderte berufliche Weiterbildung die ihr (bislang) zugewiesenen Aufgaben erfüllen, ist dieser Vorschlag umgehend aufzugreifen und umzusetzen.

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006