Nachrichten-Archiv

Zurück zur Übersicht

Erste Hürde geschafft – Argumente für einen Branchentarifvertrag



Nach 18-monatigen Verhandlungen haben sich die Zweckgemeinschaft des Bildungsverbandes BBB und die Gewerkschaften ver.di und GEW auf einen Tarifvertrag über Mindeststandards in der Weiterbildungsbranche geeinigt. Dieser Branchentarifvertrag (BTV) regelt das Einstiegsgehalt für Verwaltungskräfte und pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Arbeitszeit und den Urlaub. Er ist damit die erste flächentarifliche Regelung in der Branche. Sein In-Kraft- Treten hängt allerdings davon ab, dass er von der zuständigen Stelle rechtswirksam für allgemeinverbindlich im Sinne von § 5 Tarifvertragsgesetz erklärt wird. Entsprechendes gilt aufgrund einer anderen Regelung mit gleicher Wirkung, z. B. durch Aufnahme als Mindestlohntarifvertrag in das Entsendegesetz durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Von daher brauchen wir in den nächsten Monaten noch tatkräftige Unterstützung für eine gesetzliche Regelung von tariflichen Mindestlöhnen und Aufnahme der Branche Weiterbildung in den Katalog der Tarifverträge, die durch eine entsprechende Änderung des Entsendegesetzes als Mindeststandards gesetzt werden.

Warum ein Branchentarifvertrag?

Die Branche Weiterbildung wird von Öffentlichen Auftraggebern wie der Bundesagentur für Arbeit oder Gebietskörperschaften wie Bundesländern und Gemeinden maßgeblich beeinflusst. Der Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (früher BAT, jetzt TV ÖD) hat in der Branche aber schon lange keine strukturierende und gestaltende Wirkung mehr. Einzelne Unternehmen wenden ihn zwar noch an, aber in der Fläche sind die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen weit davon entfernt. Einige große und mittlere Träger haben Haustarifverträge mit Mantel- und Entgeltbestimmungen, andere haben nur Manteltarifverträge und viele haben gar keine kollektivrechtlichen Regelungen. Hier wird einzelvertraglich geregelt, was der „Markt“ hergibt.

Im Zuge der Hartz-Gesetzgebung hat die neue Geschäftspolitik der Bundesagentur für Arbeit bei den Maßnahmen, die bundesweit ausgeschrieben werden (Trainings- und Jugendmaßnahmen) zu starken Preiseinbrüchen geführt. Da die Personalkosten zwischen 55 bis 75 % der Kosten der Weiterbildungsträger ausmachen, schlagen diese Preissenkungen unmittelbar auf die Entlohnung durch. Die Einstiegsgehälter waren in den letzten Jahren in den alten Bundesländern oftmals auf 1.500 – 1.800 Euro, in den neuen Bundesländern auf 1.300 – 1.600 Euro gesunken. Dort gab es auch einzelne Fälle von 1.100 Euro Monatsgehalt für einen Bildungsbegleiter in der Berufsvorbereitung (bei 40 Stunden Arbeitszeit).

Ab Mitte 2005 gab es gemeinsame Gespräche zwischen den Gewerkschaften ver.di und GEW und dem Arbeitgeberverband BBB mit der Bundesagentur für Arbeit. Es sollte der Versuch unternommen werden, im Rahmen des Vergaberechts Regelungen zu finden, die den Dumping-Wettbewerb in der Branche Weiterbildung beenden. Die starre Haltung der Bundesagentur führte Ende 2005 zum Scheitern der Gespräche.

Ein Flächentarifvertrag – zumal allgemein verbindlich – ist das einzige gewerkschaftliche Mittel gegen weiteres Lohndumping und für die Stabilisierung der Gehälter.

Warum nur ein Einstiegsgehalt?

Mitte 2005 sind wir mit dem Ziel angetreten, einen umfassenden Tarifvertrag für die Weiterbildung abzuschließen. Die Verhandlungen gestalteten sich sehr schwierig, da die Arbeitgeber immer auch das Ziel verfolgten, ihre derzeitigen Haustarifverträge schnell los zu werden.

Erst die politische Diskussion über den Mindestlohn brachte wieder Dynamik in die Verhandlungen und führte zum Tarifabschluss.

Die aktuelle Diskussion über den Mindestlohn, wie sie derzeit in der großen Koalition geführt wird, knüpft an die Regelungen im Entsendegesetz an, nach dem beispielsweise Teile des Tarifvertrages der Bauwirtschaft als Mindeststandards bundesweit gesetzt werden. Das Entsendegesetz regelt nur den Einstiegslohn, die Arbeitszeit und den Urlaub. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske setzt sich beim Bundesarbeitsminister Franz Müntefering dafür ein, dass auch die Weiterbildung mit diesem Tarifvertrag in die gesetzliche Mindestlohnregelung nach Entsendegesetz fällt.

Warum Unterschied Ost-West?

Zu Beginn der Verhandlungen im Jahr 2005 boten die Arbeitgeber 1.690 Euro Einstiegsgehalt für pädagogisches Personal. Erst im Dezember 2005 kam es beim Internationalen Bund für Sozialarbeit (IB, mit insgesamt rund 6.000 ArbeitnehmerInnen, davon rund 3.000 in der Aus- und Weiterbildung), zu einem Tarifabschluss. In diesem Haustarifvertrag wurden als Einstiegsgehälter 2.076 Euro im Westen und 1.847 Euro im Osten fixiert.

Um die Verhandlungen voranzubringen und den IB dazu zu bewegen, der Zweckgemeinschaft des BBB beizutreten, hatte die Tarifkommission seinerzeit entschieden, das Verhandlungsergebnis beim IB zum Ausgangspunkt für die Branchenverhandlungen zu machen. Diese Strategie führte zum Erfolg, allerdings zu Lasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den neuen Bundesländern. Es bleibt daher Ziel weiterer Branchenverhandlungen, hier klare und schnelle Angleichungsschritte durchzusetzen.

Wird mein Gehalt jetzt abgesenkt?

Bestehende Haustarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder individuelle Arbeitsverträge gehen, sofern sie bessere Regelungen enthalten (Günstigkeitsprinzip), dem Branchentarifvertrag vor. Durch die Kollisionsklausel im § 2 des BTV gilt dies auch für den Fall der Kündigung eines Haustarifvertrags für die zum Zeitpunkt der Kündigung bereits Beschäftigten (Nachwirkung). Bei diesen Beschäftigten kann es zu keiner Gehaltsabsenkung kommen. In diesem Punkt haben sich die gewerkschaftlichen Vorstellungen weitgehend durchgesetzt.

Müssen wir jetzt mehr Stunden arbeiten?

Auch hier gilt das vorher Gesagte. Wenn in einem Haustarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Arbeitsvertrag eine geringere Arbeitszeit vereinbart ist, gilt diese.

Die Zahl 39 Wochenstunden wird allerdings von der Bundesagentur beispielsweise in den Leistungsbeschreibungen (Verdingungsunterlagen) für die Erstausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE) vorgegeben. Arbeitszeitkonten oder andere Regelungen der Arbeitszeitflexibilisierung können die durchschnittliche geringere Arbeitszeit (z.B. 37,5 Stunden) absichern.

Was ist mit zusätzlichen freien Tagen?

Auch hier gilt das Günstigkeitsprinzip, das Besserstellungen ermöglicht. Wird allerdings der Haustarifvertrag gekündigt, wirkt er nur für die zum Zeitpunkt der Kündigung bereits Beschäftigten nach. Für alle Neueingestellten gilt nach Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit der Branchentarifvertrag unmittelbar und zwingend. Er kann also auch nicht durch individuelle Arbeitsverträge unterschritten werden.

Werden Haustarife jetzt nicht mehr verhandelt?

Ob und wie ein Haustarifvertrag verhandelt wird, hängt von der „Verhandlungsmacht“ der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und der Aktionsbereitschaft ab. Natürlich spielen auch die wirtschaftlichen Bedingungen der Branche eine Rolle. Wenn für das Einstiegsgehalt in bestimmten Regionen kein Personal kommt, hat auch der Arbeitgeber ein Interesse an weitergehenden Regelungen.

Die Tarifvertragsparteien haben in einer Protokollnotiz erklärt, dass sie Verhandlungen einzelner Unternehmen zu Haustarifverträgen nicht blockieren wollen. Allerdings können die Regelungen des BTV nicht unterschritten werden.

Wird Lohnstagnation zementiert?

Die Einstiegsgehälter des Branchentarifvertrags für das pädagogische Personal finden sich im neuen Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TV ÖD, Gruppe 9, Stufe 1) – ein akzeptables Niveau für die Weiterbildungsbranche. Wir haben mit den Arbeitgebern nach In-Kraft-Treten des Branchentarifvertrages Verhandlungen über einen Entgelttarif mit weiteren Entgeltgruppen, Aufstiegsstufen und konkreten Angleichungsschritten für die Beschäftigten Ost sowie über Weiterbildungsansprüche vereinbart. Dazu muss die Branche Weiterbildung eine Tarifbewegung für einen Flächentarifvertrag entwickeln, um unsere Verhandlungsposition zu verbessern.

Die derzeitige Lohnstagnation wird allerdings auch sehr stark von außen bestimmt. Auch die Bundesagentur für Arbeit hat mit ihrer Vergabepolitik den Druck auf die Gehälter erhöht. In der Berufsvorbereitung oder Erstausbildung sind die Preise im Schnitt auf 70% jener von 2003 gesunken. Insofern ist der Branchentarifvertrag eine Auffanglinie, die ein weiteres Sinken der Preise verhindern soll. In einzelnen Regionalen Einkaufszentren (REZ) müssten die Preise sogar angehoben werden. Deshalb erhöht der Branchentarifvertrag mittelfristig den Spielraum für Lohnverhandlungen mit den Arbeitgebern. Das Argument der Dumping-Konkurrenz zieht nicht mehr, wenn die Gehälter der Branche allgemein verbindlich sind.

Ab wann bekomme ich mehr Geld?

Der Branchentarifvertrag gilt erst nach der Allgemeinverbindlichkeitserklärung – als Mindeststandard für alle in der Weiterbildungsbranche.

Für Einzelne kann es allerdings bezüglich der Bezahlung Übergangsfristen geben. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die in Maßnahmen (z.B. Erstausbildung oder Berufsvorbereitung) beschäftigt sind, in denen die Maßnahmepreise eine Erhöhung der Gehälter nicht erlauben, bliebe es erst einmal bei den niedrigeren Gehältern. Die Arbeitgeber müssen dann allerdings mit der Bundesagentur nachverhandeln, um die Preise anzupassen. Gelingt dies dem Arbeitgeberverband nicht, gelten für 12 Monate die alten, niedrigeren Gehälter. Will der Arbeitgeber im Einzelfall darüber hinaus die niedrigere Bezahlung beibehalten, muss er dem Arbeitnehmer und dem Betriebsrat nachweisen, dass die Erträge für Gehälter nach BTV nicht ausreichen. Dazu muss er Unterlagen wie die Maßnahmekalkulation und den Maßnahmepreis vorlegen.

An diesem Punkt haben sich die Arbeitgeber mit der Argumentation durchgesetzt, dass einzelne Unternehmen ansonsten in gravierende wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommen könnten.

Gilt der Tarifvertrag auch für Honorarkräfte?

Leider ist es nicht gelungen, die Honorarkräfte in den Geltungsbereich des Tarifvertrages aufzunehmen. Die Arbeitgeber haben dies strikt abgelehnt. Und da der Branchentarifvertrag auch die Unterstützung der Arbeitgeber im politischen Raum braucht, um allgemein verbindlich erklärt zu werden, haben wir nur die Regelungsgegenstände verhandelt, die Konsens waren.

Honorarbeschäftigte finden heute in ver.di verschiedene Angebote wie Rechts- oder Telefonberatung („mediafon“) oder Übersichten über Honorarsätze. Sie können sich in ver.di organisieren. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Berlin-Brandenburg gibt es Angebote, sich als Honorarkräfte in ver.di zu vernetzen und zu engagieren.

Es ist Aufgabe zukünftiger Verhandlungen, entweder die Honorarkräfte in den Geltungsbereich des Tarifvertrages aufzunehmen oder einen eigenständigen Tarifvertrag für Honorarkräfte zu verhandeln.

Zusammengestellt von Ulrich Kreutzberg


Quelle: Weiterbildung aktuell 1/2007

Sie können die komplette Weiterbildung aktuell mit dem Text des abgeschlossenen Branchentarifvertrags hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009