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Europafester Mindestlohn

Manche Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sind ein schwerer Schlag für die Bemühungen von Gewerkschaften um einen gerechten Lohn. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung vom 3. April 2008 zu einem Gefängnisbau in Niedersachsen, das so genannte Rüffert-Urteil. Das Land Niedersachsen hatte in der Ausschreibung vom Bauunternehmen die Einhaltung eines örtlichen Tarifvertrags verlangt und das explizit auch auf die eingesetzten Subunternehmer bezogen. Der EuGH untersagte eine solche Vorgabe. Er begründete seine Entscheidung damit, dass die Bindung eines öffentlichen Auftrags an die Einhaltung eines örtlichen Tarifvertrags dem EU-Recht widerspräche. Die Richter meinten, dass die EU-Entsenderichtlinie nur dann die Möglichkeit eines Mindestlohns vorsieht, wenn der entweder durch ein Gesetz oder andere staatliche Vorgaben zwingend vorgeschrieben ist oder in einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag steht. Weil aber Privatunternehmen in Niedersachsen untertariflich zahlen können, dürfe auch der Staat seine Vergabe nicht an die Einhaltung eines Tarifvertrags knüpfen. Somit verstoße die entsprechende Verpflichtung im niedersächsischen Landesvergabegesetz gegen die Dienstleistungsfreiheit aus Artikel 49 des EU-Vertrages.

Drei Tage vor diesem Urteil hatten ver.di und GEW zusammen mit dem Arbeitgeberverband BBB beantragt, die Weiterbildungsbranche ins Arbeitnehmerentsendegesetz aufzunehmen. Sie wollen gemeinsam einen Mindestlohn für die rund 23.000 ArbeitnehmerInnen festschreiben, die arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen aus- und weiterbilden. Hintergrund ist ein massiver Lohneinbruch, seit die Bundesagentur für Arbeit (BA) Bildungs-, Trainings- und Arbeitsvermittlungsmaßnahmen flächendeckend ausschreibt. Durch die Einführung des Bildungsgutscheins ist die Zahl der TeilnehmerInnen von rund 400.000 auf 100.000 gesunken.

Viele Bildungsträger versuchten nach dem Mengeneinbruch im Erwachsenenbereich Aufträge für Maßnahmen zu ergattern, die sich an benachteiligte Jugendliche richten. Machte die BA früher für Erstausbildung, Berufsvorbereitung und ausbildungsbegleitende Hilfen klare Quälitätsvorgaben, so zählt heute fast nur noch der Preis. Die Verwerfungen in der Weiterbildungsbranche sind immens: Weil alle Träger den ruinösen Dumpingwettbewerb mitgemacht haben, liegen die Preise für einzelne Ausbildungsmaßnahmen heute bei nur noch knapp der Hälfte dessen, was 2003 gezahlt wurde. Tarifgebundene Träger, deren Arbeitsschwerpunkte in diesem Segment lagen, mussten Sonderzahlungen streichen, für mehrere Jahre geltende Notlagentarifverträge abschließen oder die Tarifgruppen absenken. Bei tariflosen Trägern sind inzwischen Monatsgehälter von 1.600 Euro im Westen und 1.200 Euro im Osten erreicht. Das halten Vertreter der BA zwar für „grenzwertig“, aber nicht für sittenwidrig.

In dieser Situation öffnete sich den Gewerkschaften ver.di und GEW der Weg, über das Arbeitnehmerentsendegesetz einen Mindestlohn einzuführen. Der Tarifvertrag wurde 2007 abgeschlossen und zum 31. März 2008 beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingereicht. Inzwischen haben die Vorprüfungen stattgefunden und am 26. Oktober fand die Anhörung statt. Jetzt steht die Entscheidung der Bundesregierung aus, die Branche Weiterbildung in das Entsendegesetz aufzunehmen. Der Gesetzgebungsweg wird dann noch bis Anfang 2009 dauern. Wenn alles unter Dach und Fach ist, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die BA in der nächsten Ausschreibungsrunde die Auftragsvergabe an einen Mindestlohn koppelt. Die Regelung hätte auch vorm EuGH Bestand.

Von Ulrich Kreutzberg


Quelle: biwifo report 3/2008

Sie können die vollständige Ausgabe des biwifo report hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn, Arbeitnehmerentsendegesetz, Bildungsgutschein
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009