Der Kommentar

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Aspekte zu Privatisierung und Prekarisierung in der Bildung

Entwicklungstendenzen in der deutschen Bildungslandschaft

Es war im Herbst 2009, als die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bildungsrepublik Deutschland ausrief. Damit sollten ganz offensichtlich Signale in zwei Richtungen ausgesandt werden: zum einem, wir sind bereit, zukünftig breit in die Bildung zu investieren, eben weil wir um die Bedeutung von Bildung für die gesellschaftliche Entwicklung wissen, zum anderen aber auch, dass das Bildungssystem in der Bundesrepublik im großen und ganzen doch ganz solide und wirksam sei – die Bürger bräuchten sich also keine Sorgen zu machen.

Auf den ersten Blick mag das beruhigen, doch auf den zweiten Blick sieht es doch recht anders aus. Da ist nicht nur ein leises, aber nicht mehr zu überhörendes Unbehagen bis hin zur offen formulierten Kritik an der Leistungsfähigkeit der Schulen, die zunehmende Zahlen der Privatschulen ist hier ein deutlicher Beleg. Aber diese Tendenz einer schleichenden Privatisierung ist nicht eine singuläre Entwicklung in der schulischen Bildung. Auch im Bereich der Hochschulen sind diese Tendenzen zu beobachten, werden dort aber offener diskutiert und zumindest teilweise in die gesellschaftliche Diskussion getragen. Die ganze Debatte um die Studiengebühren, in zahlreichen Bundesländern zunächst eingeführt und nach breiten und andauernden Protesten weitgehend wieder zurückgenommen, hat die Frage der privaten ‚Investitionen‘ in Bildung in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gestellt; die andere Form der kalten Privatisierung, nämlich die Rechtsformänderung zahlreicher Hochschulen durch Umwandlung in Stiftungen privaten Rechts, ist dagegen weit weniger in der Diskussion.

Aber richten wir den Blick noch auf einen anderen Bereich – die Weiterbildung. Was in den 50er und 60er Jahren als Erwachsenbildung begann und eng mit dem Bild der Volkshochschulen verknüpft ist, hat sich mittlerweile zu einer der größten Sektoren in der Bildung entwickelt, vielleicht sogar zum größten. Allerdings ist dieser Bildungsbereich sehr viel weniger im Fokus der öffentlichen Diskussion. Dafür lassen sich verschiedene Gründe zwar anführen, richtig zwingend wird die Randständigkeit der Weiterbildung in der Öffentlichkeit dadurch nicht erklärt.

Da ist zunächst einmal die Größe des Bildungsbereichs: wir haben nur sehr unvollständige Daten über die Weiterbildung. Lediglich für einzelne Segmente gibt es gute und aussagekräftige Daten(etwa den Bereich der Volkshochschule), und gute Daten heißt dann Zahlen zu den Trägern, den TeilnehmerInnen, den Lern-/Unterrichtsstunden und den Beschäftigten. Verschiedene Bemühungen von Wissenschaftlern und in der Branche Weiterbildung Tätigen hat die Datenlage zwar verbessert, auch ein umfangreiches Gutachten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2005 hat neue Zahlen geliefert; letztlich liegen bislang keine umfassenden Daten vor.

Ein zweiter Aspekt betrifft die Heterogenität und Vielfältigkeit der Weiterbildung; denn zur Weiterbildung zählen sowohl innerbetriebliche Fortbildungen wie Maßnahmen für Erwerbslose, Einzelcoachings wie auf künstlerische (Freizeit-) Aktivitäten zielende Kurse. Die Abgrenzung fällt schwer. Dabei ist die berufliche Bildung (im weitesten Sinne) der dominierende Bereich; die politische Bildung ist (leider) auf dem Rückzug. Schließlich ist allein schon die Ermittlung der anfallenden Kosten schwierig. Wenn ein guter Teil der Weiterbildung innerbetrieblich stattfindet (Schätzungen gehen von ca. 50% aus), dann stellt sich die Frage, welche Kosten berücksichtigt wurden, etwa nur die Kosten für den Trainer / die Trainerin, oder auch mögliche Lohnausfallkosten der sich Weiterbildenden.

Es kann also sein, dass die Weiterbildung mittlerweile der größte Bildungsbereich ist und dessen Strukturen dann auch prägend für den gesamten Bildungsbereich sind oder werden könnten. Insofern macht es Sinn, Entwicklungstendenzen etwas genauer zu betrachten.

Die Weiterbildung ist weitgehend privat organisiert; die Volkshochschulen und wenigen staatlichen Träger machen nur einen Bruchteil des gesamten Weiterbildungsgeschehens aus. Verschiedene Interessengruppen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, karitative und kirchliche Organisationen) treten als Gesellschafter der Bildungsträger oder –unternehmen auf; gleichzeitig ist bei größeren und etablierten Trägern oftmals eine gewisse Verselbständigung zur ursprünglichen Gründungs- und Trägerorganisation zu beobachten.

Und entsprechend der privaten Organisation und Verfasstheit gibt es keine Standards in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und Entlohnung; kein Branchentarifvertrag regelt gewisse Standards für die Beschäftigten.

In einem zentralen Marktsegment, der nach den Sozialgesetzbüchern II und III durchgeführten und refinanzierten Weiterbildung für Erwerbslose, wird dieses auf dramatische Weise deutlich: während noch vor 10 Jahren Gehälter gezahlt wurden, die zwar durchschnittlich nicht an die üblichen Tarifentgelte oder Beamtenvergütungen in anderen tarifgebundenen Bildungsbereichen ganz heranreichten, aber nicht zu weit davon entfernt waren, sind heute die Gehälter auf der ganzen Linie eingebrochen. Neueingestellte erhalten hier zwischen 30 bis 50 % weniger als Bildungsarbeiter in anderen Bereichen; Gehälter von deutlich unter € 2000,- für 40 Stunden Unterricht, sind keine Ausnahme. Mittlerweile sind in diesem Segment der Weiterbildung prekäre Beschäftigungsbedingungen zur Regel geworden; Neueinstellungen fast ausschließlich befristet und die schon immer nicht geringe Zahl von Honorarverträgen nimmt zu bei gleichzeitig sinkenden Honorarsätzen – bis unter € 10,-- pro Unterrichtsstunde à 45 min. Damit ist in diesem Marktsegment durchgesetzt worden (die Bundesagentur für Arbeit spielt dabei eine treibende Rolle), was in anderen kleineren Bereichen wie dem Sprachschulmarkt schon immer galt. Gleichzeitig ist ein neues Marktsegment entstanden, die private Nachhilfe, das von wenigen Großunternehmen geprägt wird und nach dem Franchise-Prinzip arbeitet. Was dabei heraus kommt, sind wiederum vor allem Honorarbeschäftigte oder schlecht bezahlte Teilzeitbeschäftigte.

Wenn es nun aber richtig ist, dass die Weiterbildung ein großer, zentraler Bereich in der deutschen Bildungslandschaft ist, dann kann es nicht überraschen, dass diese prekären Beschäftigungsbedingungen auch in die anderen Bildungsbereiche rüberschwappen. Vor einigen Jahren begann es in Hessen. Die einzelnen Schulen erhielten ein Budget für Förderunterricht und dieser wurde oftmals in Form von Honorarbeschäftigung umgesetzt.

Vor wenigen Wochen kam dann an die Öffentlichkeit, dass unter dem schwarz-grünen Senat in Hamburg und der grünen Bildungssenatorin allein in den letzten 4 Jahren ca. 25.000 (!) Honorarverträge ausgegeben wurden, vor allem um die durch die politische Entscheidung für Ganztagsschulen notwendige Betreuung der SchülerInnen am Nachmittag zu gewährleisten.

Und heraus kam diese Zahl durch eine politische Kontroverse in Niedersachsen. Auch dort hatte das Kultusministerium in den vergangenen Jahren eine große Anzahl von Honorarverträgen für Unterricht und Betreuung in den Regelschulen abgeschlossen. Nun begann aber die zuständige Deutsche Rentenversicherung, diese Verträge systematisch zu prüfen, mit dem Ergebnis, ein großer Teil dieser Honorarverträgler sei im Grunde sozialversicherungspflichtig beschäftigt und das Land müsse nun die fälligen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Denn in der Tat: der Status von Honorarbeschäftigten ist nicht nur prekär, er ist auch juristisch sehr heikel, denn eine Honorarkraft darf nach der gängigen Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per Weisung in den Unterrichtsbetrieb so einfach eingegliedert werden (das Kriterium heißt: Integriertheit in den Betriebsablauf). Der Ausgang dieses Konfliktes in Niedersachsen ist noch offen.

Fazit: Was sich im Bereich der Weiterbildung an Prekarisierung abspielt, ist eben nicht nur eine Entwicklung in der Weiterbildung; diese Entwicklung schwappt nicht nur in die andere Bildungsbereiche hinein, es droht die Gefahr, dass sich diese Beschäftigungsverhältnisse auch in andere Bereiche hineinfressen. Wenn die politisch richtige Entscheidung für die Ganztagsschule umgesetzt wird, dann kann das nur über sozialversicherungspflichtige Beschäftigung laufen – eine Ausweitung schulischer Tätigkeiten darf nicht zum Einfallstor für prekäre Beschäftigung werden.

Auch an den Hochschulen wird ein beträchtliches Maß an prekärer Beschäftigung konstatiert, hier eher in Form von Befristungen. Das ist politisch zwar ein anderer Mechanismus (Stichwort Wissenschaftszeitvertragsgesetz), es bleibt für einen Großteil des wissenschaftlichen Nachwuchses nur die prekäre Beschäftigung.

Insofern hat das, was sich in der Weiterbildung abspielt – drastisch sinkende Gehälter, Befristungen, teilweise mit extrem kurzer Laufzeit und ausweitende Honorarbeschäftigung -, für alle in der Bildung Tätigen und an Bildungsfragen Interessierten eine große Bedeutung. Die private Organisation von Bildung und fortschreitende Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen in der Bildung sind zwar unterschiedliche Wirkungsmechanismen, aber gleichzeitig unheimliche Verbündete. Gute, erfolgreiche und sinnvolle Bildung ist nur mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und soliden Arbeitsbedingungen zu machen. Wer von der wirklichen Bildungsrepublik träumt (oder andere nicht täuschen will), muss diese Seiten der Bildung genau im Auge behalten.


Roland Kohsiek

Schlagworte zu diesem Beitrag: Volkshochschule, Öffentliche Beschäftigungspolitik, Honorar, Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 13.01.2012