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Was Erwachsenenbildner*innen in Zeiten von Corona beschäftigt

Gespräche mit Erwachsenenbildner*innen offenbaren jetzt ein buntes Mosaik aus konkreten Sorgen, digitalen Copingstrategien und Ängsten vor einer ungewissen Zukunft.

„Verbunden" – ein Wort, das uns trotz physischer Distanz zu den Kolleg*innen derzeit häufig beruflich begleitet. Viele von uns lesen es, wenn sich die Internetverbindung herstellt bevor wir morgens unsere Arbeit im Home-Office beginnen. Wir hören es, wenn sich das neue Bluetooth Headset mit dem Smartphone koppelt, bevor wir uns mit Kollegen und Kolleginnen austauschen. Und wir fühlen es in den Gesprächen, wenn das "Du" plötzlich leichter zu fallen scheint als das "Sie", weil man in mancher Hinsicht eben im selben Boot sitzt.

Gemeinsam ist vielen aber nicht nur die Situation von Arbeit im Home-Office, Umgestaltung von Bildungsangeboten oder Verschiebung von Terminen "auf unbestimmt". Viele fragen sich, was genau da gerade vor sich geht, und worauf man sich jetzt vorbereiten soll.

In unserem gemeinsamen, und ob der Fülle länger geratenen Blogbeitrag legen wir ein erstes Mosaik aus Gedanken und Themen, die Erwachsenenbildner*innen derzeit beschäftigen. Dieses Mosaik ergibt sich aus Beobachtungen und Erfahrungen der letzten Wochen – insbesondere aus Gesprächen, die wir als Redakteur*innen von erwachsenenbildung.at mit Forschenden, Bildungsmanager*innen, pädagogischen Mitarbeiter*innen, angestellten und freiberuflichen Trainer*innen geführt haben. Auch die Eindrücke von den Teilnehmer*innen am Onlinekurs EBmooc plus 2020 und unserer Webinare seit Mitte März sind in dieses Bild eingeflossen.

Verschieben oder online gehen?

Die Corona-Krise ließ angesichts der vielfältigen Beschränkungen einem Präsenzangebot gewohnten Zuschnitts bislang keinerlei Raum. Daher setzen sich jetzt auch besonders skeptische Erwachsenenbildner*innen durchaus mit dem digitalen Arbeiten auseinander, unter anderem im Rahmen von Weiterbildung online. Das bestätigt unter anderem der enorme Zulauf zum EBmooc plus 2020 mit inzwischen über 3.500 Teilnehmenden.

In der Umsetzung zeigen viele Mut zur Erprobung, zu funktionierenden - wenn auch handgestrickten - Lösungen, deren Einführung unter Vor-Krise Bedingungen wohl erheblich länger gebraucht hätte. Dabei scheint es eine sehr große Heterogenität zu geben in Hinblick darauf, was Trainer*innen bzw. Anbieter sich in der Eile zutrauen, wenn es darum geht mit einem Angebot online zu gehen. Zwischen "selbstverständlich alles abgesagt" und "selbstverständlich alles online weitergeführt" gibt es das ganze Spektrum an Reaktionen auf die Einschränkungen. In den massiv steigenden Angeboten an Webinaren und Online-Kursen zeigt sich jedenfalls, wie zahlreiche Anbieter sehr proaktiv und schnell mit ihrer Situation umgehen können.

Im Allgemeinen erreichen uns mehr Berichte über einen erfolgreichen Onlinegang und implementierte Webinar-Angebote als Berichte von abgesagten Präsenzveranstaltungen - auch wenn man hier damit rechnen muss, dass einen eher die Erfolgsmeldungen erreichen als jene über das Misslingen.

Was man inhaltlich erfolgreich anbieten kann, scheint je nach Zielgruppe des Angebots zu variieren. Elternbildung etwa wird online aktiv genutzt, jetzt auch vormittags und nicht nur zur "Prime time". Besonders schwierig ist es wohl in der Basisbildung, da viele Teilnehmende keine geeigneten Geräte zum Online-Lernen haben oder "digitale Anfänger*innen" sind.

Bildungsungleichheit im Online-Lernraum

Fragen nach ungleichem Bildungszugang beschäftigen die Erwachsenenbildung seit jeher. Der Matthäus Effekt "Wer hat, dem wird gegeben" ist legendär und – leider – oft bestätigt worden. Auch jetzt, wo Bildung sich zumindest vorläufig ausschließlich in den Online-Raum verlagert hat, zeigen sich Erwachsenenbildner*innen darüber besorgt, denn: Nicht alle Teilnehmer*innen verfügen über eine passende Ausstattung für das Online-Lernen, und über das notwendige Know-How zu deren Nutzung. Wenn es an einer stabilen Internetverbindung hakt oder nur ein Smartphone als Arbeitsgerät zur Verfügung steht, ist die Hürde oft zu hoch – nicht nur für das Lernen, auch für das Kontakthalten zwischen Lehrenden und Lernenden.

Auch wenn online gerade eine Vielzahl von Lernorten entstehen, die viele Möglichkeiten und Chancen bieten, befinden sich die Lernenden physisch an einem Ort, der sich mehr oder weniger gut zum Lernen eignet. Zu betreuende Kinder im Haushalt oder schlicht zu wenig Platz, um sich ruhig zum Lernen zurückzuziehen, werden als Hürden genannt, die ein Online-Lernen schwierig machen. Ein geschützter Rahmen, wie er in Kursräumen geschaffen wird, existiert in den eigenen vier Wänden nicht von vornherein.

Nach Berichten des ORF über das "Austrian Corona Panel Project" zeigt sich gerade jetzt wieder der deutliche Zusammenhang von Bildungsabschlüssen und beruflichen Chancen. Demnach hat von jenen, die höchstens über einen Pflichtschulabschluss verfügen, jede/r Siebente im ersten Monat der Krise den Job verloren.

Was die nahe Zukunft bringt...

Wie es demnächst weitergeht fragen sich viele Erwachsenenbildner*innen und möchten wissen, wann und wie Präsenzveranstaltungen wiederaufgenommen werden können. Die KEBÖ hat hierzu Vorschläge gemacht. Dem Vernehmen nach möchten einige Anbieter rasch die Tore öffnen, andere erst nach einer Sommerpause.

Hierin spiegeln sich auch Annahmen über das Teilnahmeverhalten wieder – sprich, ob Maßnahmen auch unter Rücksichtnahme auf die Teilnehmenden in Präsenz fortgeführt werden können oder die Nachfrage nach und damit die Buchungen für Bildungsveranstaltungen erst wiedereinsetzen müssen.

Wie Bildungsveranstaltungen in näherer Zukunft aussehen können, bewerten Lehrende unterschiedlich. Die einen können sich Präsenzveranstaltungen mit Maske oder Glasvisier gut vorstellen, die anderen bevorzugen stattdessen lieber eine Online-Lernumgebung ohne Mund-Nasen-Schutz.

Die Bandbreite dessen, was wir für möglich halten ruft in Erinnerung, wie sehr Erwachsenenbildung ein kommunikativer Beruf ist, bei dem die Qualität der Interaktion einen entscheidenden Unterschied macht. Die kommenden Wochen werden zeigen, welche sozialen Auswirkungen die Umsetzung der zu erwartenden Schutzbestimmungen mit sich bringt, und welchen Bedingungen sich die Erwachsenenbildung auch aussetzen wird. Die Vorschläge der KEBÖ zu hygienischen Auflagen und Bedingungen sind ein Hinweis auf einen möglichen gemeinsamen Nenner unter den Anbietern.

...und was die etwas fernere Zukunft

Viele Gesprächspartner*innen beschäftigen aber Fragen, die noch weiter in die Zukunft reichen. Wie wird die Nachfrage an Bildungsangeboten überhaupt sein, wenn Menschen vermehrt damit beschäftigt sein werden, wieder Arbeit zu finden? Ist ein noch stärkerer Fokus auf berufliche Erwachsenenbildung die Folge? Wann werden die Menschen wieder allgemeine Erwachsenenbildungsangebote in Anspruch nehmen?

Hörbar ist allerorten auch die Frage nach dem Vorhandensein von Freiräumen, um darüber nachzudenken, was Erwachsenenbildung ausmachen soll und was sie aus der aktuellen Zeit lernen kann. Auf erwachsenenbildung.at befassen wir uns damit unter anderem im Rahmen unseres wEBtalks am kommenden 7. Mai "Mit Humanismus und Freiheitlichkeit aus der COVID-19 Krise?".

Bildungsanbieter fragen sich erwartungsgemäß, wie viele öffentliche Gelder es für Bildungsprojekte zukünftig geben wird – hörbar verbunden mit der Sorge vor Kürzungen oder deutlichen Verschiebungen der bildungspolitischen Prioritäten. Einige Bildungsmanager*innen erzählten, dass sie jedenfalls bei künftigen Projektanträgen den Fokus verstärkt auf digitales Arbeiten richten werden. Viele hegen die Hoffnung, die öffentliche Hand möge die Relevanz von Erwachsenenbildung als antizyklische Maßnahme in Krisenzeiten erkennen und daher fördern.

Unterstützung für die Erwachsenenbildung

Viele sorgen sich, dass die Erwachsenenbildungslandschaft nach der Krise womöglich deutlich anders aussehen wird. Da dieser Bildungssektor nicht in jenem Maße wie die Universitäten und Schulen in die öffentlichen Strukturen eingebettet sind, befürchten einige, dass es manche Anbieter nicht durch die Krise schaffen werden. Zudem haben zahlreiche freiberufliche Trainer*innen derzeit keine Umsätze und fragen sich, wie die Phase des "Zurückkommens" sein wird.

Auch wenn die Stimme der Anbieter in großen Mainstream-Medien kaum präsent ist, ist sie im eigenen Feld doch wahrzunehmen. Die Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ) versandte vergangene Woche ein Empfehlungsschreiben an gleich vier Ministerien mit einem Fahrplan für die Öffnung von Erwachsenenbildungseinrichtungen – darunter dem Vorschlag, die Erwachsenenbildung wie die Wirtschaftsbetriebe zu berücksichtigen und ähnlich den Schulen schrittweise zu öffnen.

Die ARGE Bildungshäuser und das Forum Katholischer Erwachsenenbildung ersuchten den Bildungsminister mit einem offenen Brief , die gemeinnützigen Erwachsenenbildungseinrichtungen zu unterstützen. Auch der Verband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) verfasste einen der Redaktion vorliegenden Brief an den Bildungsminister. Darin wird unter anderem vorgeschlagen, den Zugang zu Ressourcen für die Umsetzung von Fernlehre (z.B. zu kostengünstiger Hard- und Software) sowie die Entwicklung gemeinsamer (offener) Bildungsressourcen zu verbessern.
(Update vom 1. Mai:) Am 30. April hat das Gesundheitsministerium eine Verordnung erlassen, die eine erste Öffnung der Erwachsenenbildung vorsieht. So können z.B. die Vorbereitungslehrgänge zur Berufsreifeprüfung ab 4. Mai wieder als Präsenzunterricht angeboten werden.

Wie viele Anbietereinrichtungen Kurzarbeit in Anspruch nehmen entzieht sich unserer Kenntnis. In einem Feld mit derart hochgradiger Freiberuflichkeit ist die Zahl der Angestellten die von Kurzarbeit profitieren würden wohl geringer als in anderen Branchen. Konkrete Maßnahmen zur Unterstützung während der Corona-Krise gibt es derzeit auch für Trainer*innen und Lehrende. Arbeiten sie als neue Selbstständige oder freie Dienstnehmer*innen, können sie Fördermittel aus dem Härtefall-Fonds des Bundes beantragen. Geplant sind seitens des Bundes auch Förderrichtlinien für Non-Profit-Organisationen. Die zuständigen Ministerien arbeiten diese lt. WKO (Stand vom 27.4.) noch aus.

Eine Nachfrage in den Bundesländern schließlich ergab, dass viele Projektträger Änderungsanträge für ihre Förderungen einbringen können. So soll ermöglicht werden, dass abgesagte Veranstaltungen mit denselben Mitteln verschoben oder online umgesetzt werden können. Aus Salzburg erreichte uns die Nachricht, dass das Land zudem zurzeit auf die Auszahlung in Tranchen verzichtet und den Einrichtungen im Bedarfsfall sofort die volle Jahresförderung zur Verfügung stellt. Eine Liquiditätshilfe in schwierigen Zeiten also.


Quelle: erwachsenenbildung.at, Text: Wilfried Frei, Birgit Aschemann, Lucia Paar, veröffentlicht unter CC BY 4.0 International, 29. April 2020, Redaktion/CONEDU



Schlagworte zu diesem Beitrag: Weiterbildung, Volkshochschule, Freiberufler/Selbstständige, Digitalisierung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 04.05.2020